Geschichte der  Küstenfunkstelle Scheveningen Radio (Teil 9)

 

Eine Stunde vor der Weltkarte

Ungefähr ein Drittel der Erdoberfläche besteht aus Wasser und auf dieser großen Fläche fahren Tausende von Schiffen. Kreuz und quer, von Ost nach West, von Nord nach Süd und umgekehrt. Von den Falklandinseln nach Celebes, vom Golf von Guyaquil nach Dar-es-Salaam, von Melbourne nach Singapur, von der einen Seite der Welt auf die andere. Der Abstand zwischen den Schiffen ist manchmal beängstigend klein, wie zum Beispiel in den dichtbefahrenen Gewässern der Nordsee. Meistens jedoch liegen zwischen den Schiffen auf den Meeren, hunderte von Meilen. In Notfällen ist ein Schiff auf die Hilfe eines anderen angewiesen, das "zufällig" mehr oder weniger in der Nähe ist. Selbst mit den heutzutage schnellen Schiffen kann es noch Stunden dauern, bevor geholfen werden kann.

So ist es von großer Wichtigkeit, daß in einem Notfall, die Position des Schiffes übermittelt wird, so daß Schiffe in der Nähe zur angegebenen Stelle fahren können. Das Personal der koordinierenden Küstenfunkstelle muß auch auf dem laufenden sein und die Lage vor Ort kennen.

In einem der Schulungsräume von "Scheveningen Radio" hängt eine riesige Weltkarte aus Metall. Das hat einen Grund. Im Praxisunterricht wird das zukünftige Personal mit den Fahrtrouten und den Kommunikationsmöglichkeiten vertraut gemacht. Kleine Modellschiffe die auf Magneten befestigt sind können so auf der Karte verschoben werden. Die Rufzeichen dieser (holländischen) Schiffe stehen auf den Modellen. Der Auftrag lautet zum Beispiel: Fahre mit dem oder dem Schiff von Rotterdam nach Valparaiso. Unterwegs werden folgende Häfen angelaufen: Wo ist die Position des Schiffes 250 Seemeilen südsüdwestlich dieses oder jenes Hafens? Eine andere Klasse bekommt gleichzeitig den Auftrag die Küstenfunkstellen zu nennen, die auf der Reise passiert werden. Das PCH-eigene System der "Schiffsadoption" hat vielen Telegrafisten und Telefonisten in spe auf spielerische und eindringliche Weise den Weg auf See gezeigt. Bei diesem System gibt es auch eine menschliche Seite, trotz der Welt der Automatisierung. Seit einiger Zeit gibt es Computersysteme welche die Information über die Standortbestimmung verwalten, eines davon heißt "AMVER". Die Abkürzung steht für "Automated Mutual Vessel Rescue". Das System ist in den Vereinigten Staaten entwickelt worden und wird von der amerikanischen Küstenwache geleitet.

Das System ist darauf ausgerichtet, möglichst schnell einen Überblick über den Schiffsverkehr in bestimmten Gebieten zu bekommen. Die Schiffe, die am "AMVER"-System teilnehmen, geben regelmäßig ihre Position, Kurs und Geschwindigkeit an "Scheveningen Radio". Die Meldungen werden an den "AMVER"-Computer in den Vereinigten Staaten weitergegeben. In diesem Computer werden auch zusätzliche Angaben über die Schiffe eingegeben, z.B. welche Brandschutzmittel an Bord sind oder ob ein Schiffsarzt mitfährt. Der Computer weiß somit alles über das betroffene Schiff. Wenn nun ein Schiff in Seenot gerät, kann der Computer unmittelbar eine Liste mit Schiffen in der Nähe ausgeben, so daß Hilfe schnell und effizient geleistet werden kann. Die Teilnahme an diesem System ist freiwillig, aber besonders viele Schiffe, auch holländische, sind im "AMVER"-Computer gemeldet. In Europa war "Scheveningen Radio" lange Zeit die einzige Küstenfunkstation, die als "Reporting-Station" für das "AMVER"-System auftrat. Aber, Computer oder nicht, für das Personal von "Scheveningen Radio", das an den Sendern und Empfängern tätig ist, ist es wichtig, wo sich der Anrufer befindet, nicht nur in Notfällen, sondern auch im täglichen Routineverkehr mit den Kunden, auf welchem Weltmeer sie sich auch immer befinden. Dank der Stunden vor der Weltkarte kennt sich das Personal von "Scheveningen Radio" auf dem Meer wie in der eigenen Westentasche aus.

 

Moderne Kommunikationsmittel

Für den drahtlosen Verkehr mit dem Schiff auf See stehen gegenwärtig eine Anzahl moderner Kommunikationsmittel zur Verfügung. In früheren Jahren, wenn das Schiff ausfuhr, war die Verbindung mit dem Land unterbrochen. Nach dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts trat hier eine Veränderung ein, als der Funkkontakt zwischen Schiffen und Küstenfunkstellen ermöglicht wurde. Es war dies zu Beginn der "gewöhnliche" Funkverkehr in Form der Telegrafie. Später kam die Radiotelefonie dazu. Seit dem Kommen der "Elektronischen Technologie", der Erfindung des Transistors im Jahre 1947 und dem Vordringen der integrierten Schaltungen, den IC's und der Chips, nur um einige zu nennen, hat sich einiges in der Technik getan, um die Kommunikationsmittel immer zuverlässiger zu machen. Neue Systeme haben dann auch Dank der Forderungen, schnell Zugang gefunden. Systeme von denen Menschen vor kurzer Zeit nicht zu träumen wagten.

Weltumspannende Kommunikation mit Hilfe von geostationären Satelliten, z.B. über die niederländische Erdfunkstation Burum, mit Hilfe computergesteuerter elektronischer Telefonzentralen, des Mobilofon, des Semafor, selbst des Telefon im Auto. Auch im maritimen Funkverkehr finden diese und andere Kommunikationssysteme einen Platz. Das Geheimnis von störungsfreien Signalen durch den Äther oder über Kabel - und in der Zukunft mit Hilfe von Glasfaserkabeln - ist vor allem in der "Digitalisierung" zu finden. Das Prinzip davon beruht, grob umschrieben darin, das Signal in Stückchen zu schneiden und in äußerst kleine Teile zu zerlegen. Diese "Stücke" werden dann als eine Serie sehr kurzer Impulse ausgesendet, die Signale sind dadurch auf dem Weg zwischen Sender und Empfänger nahezu unempfindlich gegenüber zahlreichen Störeinflüssen von außen. Am Empfangsort werden die "Stücke" zusammengefügt und zu Signalen umgeformt, ohne Störungen und zuverlässig übermittelt. Auf diesem Prinzip und unter Zuhilfenahme noch anderer elektronischer Mittel, beruht das moderne Anrufsystem, das international in Arbeit ist.

Das niederländische PTT, und auch "Scheveningen Radio", sind von dieser Studie betroffen. Das Anrufsystem wird "Digitale Selective Calling" genannt. Die Möglichkeiten dieses selectiven Anrufsystems sind beinahe unbegrenzt. Tausende von Küstenfunkstellen sollen mit diesem System ausgerüstet werden. Jede Station die an das "Digitale Selcall" angeschlossen wird, bekommt einen eigenen Identifika-tionscode. Darin können individuelle Daten der Station vermerkt werden. Beim Schiff z.B. der Name und das Rufzeichen. Wird durch eine Küstenfunkstation so ein Code ausgesendet, dann siebt ein spezieller Empfänger an Bord den eigenen Code aus einer Reihe von Signalen aus und der Empfänger selektiert das eigene codierte Rufzeichen. Selcall macht auch automatische Anrufe von Schiffen zur Küstenfunkstation möglich. Dies soll z.B. von Nutzen sein, wenn das Schiff in Not gerät. Die ausgesandte Information enthält den Namen (in kodierter Form), die Position des Schiffes und selbst die Art des Notfalls (Feuer an Bord, etc.) . Das Aussenden der Notsignale vollzieht sich nach Druck auf den Knopf automatisch. Gruppenweise Anrufe von Schiffen, z.B. Schiffe der gleichen Reederei in einem bestimmten Gebiet, sind auch möglich. Dies kann z.B. für das Hilfsersuchen eines Schiffes in Not, bei Sturmwarnungen, die manchmal sehr plötzlich sein können, Navigationswarnungen und Bedürfnissen der Navigation, z.B. im Verband mit treibenden Wrackstücken sehr von Nutzen sein.

Das "Selcall"-System ist noch nicht betriebsfähig, aber die praktischen Anwendungsmöglichkeiten werden gründlich studiert. Die Untersuchungen gehen zu Kodierungsprinzipien und dem Zuweisen der Frequenzbänder und -Kanäle. Bei diesen Untersuchungen wird viel gefordert. "Digitale Selcall" bedeutet viel für die Zukunft, nicht nur für die Sicherheit auf See, sondern auch für die Zuverlässigkeit der ausgesendeten Signale.

 

"Selcall", ein modernes Anrufsystem!

Ein vergleichbares System ist bei "Scheveningen Radio" eigentlich schon in Gebrauch. Es gleicht im Prinzip dem Semafon und beruht auf das Aussenden einer Anzahl von Tönen in verschiedenen Tonlagen in einer bestimmten Reihenfolge. Es wird "Sequential single Frequency Code System" genannt und ist tatsächlich wie die digitale Form, ein selektives Anrufsystem mit weniger Anpassungsmöglichkeiten.

Die Technik im Telexverkehr stand ebensowenig still. "Scheveningen Radio" verfügt seit Jahren über ein TOR-Gerät (Telex Over Radio). Dieses System, das eine schnelle und zuverlässige drahtlose Telexverbindung möglich macht. Zum Schluß soll neben den modernen Funkverkehrsmitteln noch die UKW-Telefonie vermerkt werden.

Das Radio macht es möglich, alles was fährt erreichbar zu machen. Direkt oder über "Scheveningen Radio", wo Dank zahlreicher moderner Kommunikationsmittel die Morsetasten noch täglich von den Telegrafiefunkern benutzt werden.

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"Selcall", ein modernes Anrufsystem!