Geschichte der  Küstenfunkstelle Scheveningen Radio (Teil 7)

 

Februar 1953, PCH Retter in Not

In der Nacht vom 31. Januar zum 1. Februar 1953 raste ein Orkan über die Nordsee.

Ein Sturm dieser Stärke, Heftigkeit und Dauer war schon sehr lange nicht mehr vorgekommen. Das Wasser in den Buchten und den Flüssen wurde hoch aufgestaut, Deiche und Seewehre brachen durch, große Teile im Südwesten Hollands standen unter Wasser. Erst nach Wochen konnte die traurige Bilanz gezogen werden: hunderte von Menschenleben waren zu beklagen, der materielle Schaden ging in die Milliarden. Die "Sturmnacht von 1953" sollte so schnell nicht in Vergessenheit geraten, auch durch jene nicht, die es hautnah auf dem Meer miterlebt hatten.

"Scheveningen Radio" hatte die Schiffe auf der Nordsee gründlich vor dem kommenden Sturm gewarnt. Das die Situation so schnell und so ernst werden sollte, hatte niemand erwartet. Zurückblickend auf den 1. Februar, mag es wie ein Wunder vorkommen, das es nicht zu noch mehr Schiffsunglücken gekommen ist; obwohl die tatsächliche Situation ein Desaster war. Die Logbücher von PCH melden, daß zu bestimmten Zeiten gleichzeitig mehrere Schiffe in Not waren. Es begann schon am 31. Januar, als verschiedene Schiffe an der englischen Küste in Schwierigkeiten gerieten. Eine britische Küstenfunkstation trat daraufhin mit PCH in Kontakt. Die KNMI die, wie "Scheveningen Radio" auch, mit Topkapazität arbeitete, schickte Sturmwarnung auf Sturmwarnung nach Ijmuiden, die unverzüglich gesendet wurden. Das Zentrum des Sturmes näherte sich schnell und mit voller Heftigkeit der niederländischen Küste.

Bei Schouwen rief ein Finne, am frühen Abend, radiotelefonisch um Hilfe. Die Rettungsboote von Veere und Stellendam fuhren hinaus um das Schiff zu suchen, aber die Suche war vergebens. Sie konnten das Schiff nicht finden. Später stellte sich heraus, daß das Schiff bei West-Schouwen auf Grund gelaufen war. Das besondere daran war, daß das Schiff wegen eines Deichbruchs auf dem "Trockenen" lag und vom Personal der Küstenwache nicht gefunden wurde. Dies war glücklicherweise keine unmittelbare Gefahr.

 

Das in Not geratene Schiff war das erste einer langen Reihe von beinahe 30, die im Laufe der nächsten drei Tage über Funk um Hilfe baten.

Ein Schlepper verlor seinen Schleppzug, die Seeleute konnten durch ein Rettungsschiff von Den Helder gerettet werden. Auf dem Nieuwe Waterweg wurde ein Schiff der Holland-Amerika-Linie ans Ufer geschleudert. Ein Schlepper der dem Schiff helfen wollte, geriet selbst in Schwierigkeiten.

Die Notsignale SOS und MAYDAY wollten nicht verstummen. Ein belgisches Schiff auf Vlissingen Reede bat um Schlepperhilfe und konnte auch wieder flottgemacht werden. Ein dänisches Schiff rief um Hilfe und bekam sie durch einen Landsmann in der Nähe. Gleichzeitig wurde ein Notsignal von einem holländischen Küstenmotorschiff empfangen, das schwere Schlagseite hatte. Ein Rettungsschiff der KNZHRM fuhr los um zu helfen. "Scheveningen Radio" bekam verschiedene Hilferufe von Schiffen, die steuerlos umhertrieben. "Rudder broken, please hurry tugboat assistance".

Ein deutscher Tanker lief bei Noordwijk auf den Strand und lag da noch mehrere Monate. Ein Frachtschiff strandete bei Scheveningen. Ein polnischer Trawler lief in Ijmuiden auf die Pier auf, ein Panamese rief bei Hoek van Holland um Hilfe, gleichzeitig mit drei anderen Schiffen. Eine mutige Tat - oder übermütig, wer soll das sagen -. Ein dänischer Kapitän fuhr, ohne Hilfe aber betreut von PCH den Nieuwe Waterweg mit seinem Schiff hinauf. War dies ein Muster der perfekten Seekameradschaft oder Waghalserei? Es gelang ihm sicher festzumachen. Sein weiblicher Funker bedankte sich bei "Scheveningen Radio" mit den Worten: "Thanks for good service, you were a great help".

Die Kollegen der britischen Küstenfunkstellen machten Überstunden, vermittelten und koordinierten die Hilfe an ihren Küsten an der anderen Seite der aufgepeitschten Nordsee. Denn auch da gerieten Schiffe in Not und baten um Schlepperbeistand. Die Küstenfunkstation "Humber Radio"/GKZ mußte ihren Betrieb einstellen, denn sie stand unter Wasser.

"Scheveningen Radio" überlebte. Seit den frühen Morgenstunden des 1. Februars gewährte die Reichsküstenfunkstation für die Schiffahrt auch Hilfe innerhalb der niederländischen Küstenregion, eine äußerst seltene Situation. Die radiotelefonische Abteilung nahm Kontakt mit Fischerbooten und anderen Schiffen auf den niederländischen Binnengewässern auf, die wiederum als Relaisstationen dienten. So wurde eine permanente Funkverbindung in den Voornse Kanal, mitten in dem schwer betroffenen Gebiet aufgebaut, an der auch eine Amateurfunkstation an Bord der Yacht "Maybe" beteiligt war. Es war ein äußerst intensiver Funkverkehr mit Amateur-, Polizei- und Militärfunkstationen auf dem 166 Meterband, der eigentlichen Arbeitsfrequenz. Später auch noch auf dem 137 Meterband, das letztere mit Hilfe eines schnell in Ordnung gebrachten provisorischen Senders. Beide Frequenzen promovierten zu Notfrequenzen für den permanenten Gebrauch. Etliche andere Frequenzen wurden für den normalen Radiotelefonie-Verkehr zur Verfügung gestellt. Soweit man von "normalem" Funkverkehr sprechen konnte. Dies waren für das Personal von PCH besonders spannende und anspannende Stunden. Viel freie Zeit wurde spontan geopfert, um die extra Dienste halten zu können. Die Bezahlung der Überstunden kam in den "Nationalen Katastrophenfonds."

Die Hochspannung unter der, im wahrsten Sinne des Wortes, gearbeitet wurde, stieg in der Katastrophennacht weiter an, bis es im eigenen Gebäude Alarm gab. Mit der steigenden Flut kam das aufgepeitscht Seewasser über die Kanalisation in den Keller, wo wichtige technische Geräte aufgestellt waren.

"Scheveningen Radio", Retter in der Not, drohte nun selbst in Gefahr zu geraten, da Wasser, besonders Seewasser, für die Elektrizität tödlich ist. Glücklicherweise konnte das Personal von PCH mit "Alle Mann an Deck" die Gefahr mit der schnell zu Hilfe eilenden Feuerwehr von Ijmuiden bannen. Als danach die Ebbe eintrat, konnten definitive Maßnahmen getroffen werden, um der zu erwartenden Springflut Widerstand zu bieten.

"Scheveningen Radio" blieb auf Sendung.

 

Ein Leuchtfeuer auf dem Markt

"Leuchtfeuer, jeder merkt schnell, daß ein Lotse oder Kapitän das Fahrwasser anhand der Leuchtfeuer ansteuert. "Küstenlichter" sind Türme, Stege und Tonnen etc. die ins Meer hinausragen oder die im Wasser fest verankert sind. So steht es im "Van Dale", dem Wörterbuch für Holländisch.

Wie ein Turm oder ein Leuchtfeuer ragen im Zentrum von Ijmuiden, hoch über der wogenden Masse von Menschen, die auf dem Weg zum Bus, nach Hause oder zu den Geschäften des täglichen Lebens sind, die Antennen von "Scheveningen Radio" in den Himmel. Sie ist von weitem schon zu sehen, wie ein feuerroter Fleck ragt sie gegen den Himmel, die Parabolantenne von "Scheveningen Radio", welche in Richtung Harlemer Waarderpolder auf den Nederhosten van Berg zeigt. Dort in der weiten niederländischen Landschaft, steht sein identisches Gegenstück. Zusammen sorgen sie für die Direktverbindung. Die Signale, die aus dem Äther aufgefangen werden, flitzen über die mächtigen Kurzwellenantennen zum neuen Zentrum von "Scheveningen Radio" am Marktplein von Ijmuiden.

Das alte Haus von PCH, das so romantisch am Tweede Sluis-Eiland lag, war eigentlich zu klein geworden. Eine passende Unterkunft an Ort und Stelle, sicher auf eine längere Zeitdauer hin, war unmöglich. Wegen der anstehenden Verbreiterung der Schleusen mußte das Feld geräumt werden. Ein Neubau mußte her, mit Blick in die Zukunft. Im Jubiläumsjahr 1979, stand das geräumige, imposante Gebäude mit sechs Etagen, wovon im Parterre der Eingang auch von den Kollegen der Post benutzt wird.

Das erste und zweite Stockwerk wurde an die Gemeinde vermietet. Die obersten vier Etagen gehören "Scheveningen Radio", mit einer Fläche von 2500 m2. Auf der sechsten Etage mit einem freien Ausblick auf die Dünen - natürlich nicht bei Nebel - ist die Kantine und der Aufenthaltssaal. Auf dem 5. Stockwerk befinden sich die modern ausgerüsteten Schulungsräume. Die Abteilung Verkehrsabrechnung hat hier mehr Platz als vorher. Auf der 4. Etage wurde der operationelle Dienst komplett mit einer "Nachtpantry" eingerichtet, wo auch in der dunkelsten Stunde aufgetankt werden kann. Das "continue-Aspekt" von "Scheveningen Radio". Hier befinden sich auch die Arbeitsplätze für die Radiotelegrafie, 17 Arbeitsplätze für den telefonischen Verkehr auf Kurz- und Mittelwelle, 15 für den UKW-Sprechfunkdienst und die 7 Arbeitsplätze für das "Telex Over Radio", TOR.

Die 3. Etage ist rein technisch. Hoch- und Niederfrequenzsender, Schalter, Computer, kurzum, alles was es PCH ermöglicht um als Knotenpunkt für eingehenden und ausgehenden Verkehr zu funktionieren. Natürlich ist hier auch der Technische Dienst untergebracht. Fällt die normale Stromversorgung, die für den Betrieb von "Scheveningen Radio" lebensnotwendig ist, aus irgendwelchen Umständen aus, dann wird diese Lücke durch ein Notstromaggregat von 150 kVa welches im Keller steht überbrückt.

Auf dem Dach steht nicht nur die Parabolantenne für die Richtverbindung mit dem Waarderpolder und Vandaar nach Nederhost den Berg, es befinden sich hier auch die Empfangsantennen für die Radiotelegrafie auf Mittelwelle und weitere Reserve- und Prüfantennen.

Die Richtverbindung kann nicht direkt auf das Empfangsgebiet Nederhost den Berg gerichtet werden, weil der Richtstrahl durch hohe Gebäude etc., die im Wege stehen, unterbrochen wird. Der Richtstrahl darf aber nicht unterbrochen werden, genau so wie der "Rund-um-die-Uhr"-Dienst von PCH.