Geschichte der  Küstenfunkstelle Scheveningen Radio (Teil 6)

Der Herr an der Morsetaste

Als die Beschlüsse der "Funkkonferenz von Berlin", 1908, in Kraft traten, mußten die Funker eine Prüfung ihrer Fähigkeiten ablegen, bevor sie das Funkzeugnis erhielten. Enthalten darin war eine Erklärung zur Verpflichtung der Geheimhaltung. Die Patente wurden von der Regierung ausgestellt, der das Schiff angehörte.

In Holland dauerte es eine Weile bis solche Examen abgenommen wurden Auf ministerielle Anordnung vom 5. Januar 1914 (Nr. 14, afd. P und T) wurde offiziell die "Examenskommission für Radiotelegrafie" eingeführt. Der Unterricht für Funker wurde besser organisiert, es wurden Programme entwickelt, und Prüfverfahren aufgestellt. Die Kandidaten kamen nun auch von der N.V. Niederländischen Telegrafengesellschaft "Radio Holland", die durch verschiedene holländische Reedereien 1916 beauftragt wurde, den Betrieb nahezu aller niederländischer Schiffsstationen der Brüsseler Zweigstation von Marconi zu übernehmen.

 

Morsezeichen fliegen um die Welt

Das gleiche "Radio Holland" wurde in den folgenden 60 Jahren seines Bestehens zu einem vielseitigen, internationalen Betrieb auf dem Gebiet der See- und Küstenfunkstellen. Kommunikation, Navigation, Kontrolle und Automatisierung mit Hilfe der Elektronik auf Großtankern, Fischereikuttern, Privatjachten, Bohrinseln, Passagierschiffen und Schleppern. "Radio Holland" bildete selbst Funker aus. Es wurden zwei Patente ausgestellt, das Funkzeugnis 1. Und 2. Klasse. Der Unterschied lag in der Geschwindigkeit des Gebens und Hörens von Morsezeichen, bedeutend in der Praxis, sowie einer Regelung für die Dienstausübung an Bord von Schiffen nach Tonnage.

Das Examen existiert noch heute, gewachsen mit der teilweise rasanten technischen Entwicklung. Dem zukünftigen niederländischen Funkoffizier der Handelsmarine wurde kräftig auf den Zahn gefühlt um seine Fachkenntnisse der theoretischen und praktischen Elektronik, besonders der Funkstationen an Bord sowie des Echolots, des Radars, der Überwachungs- und Regelgeräte zu erkennen. Verlangt wurden Kenntnisse der Geographie, der Vorschriften, der Regeln für den internationalen Funkverkehr, der Funkverkehrsabrechnung, der Administration, und Sprachkenntnisse vor allem technisches Englisch und naturgemäß das Geben und Hören der Morsezeichen.

 

Mit dem bestandenen Funkexamen besitzt der Funker einen Schlüssel zur Tür der weiten Welt. Wenn er müde ist auf den sieben Weltmeeren umherzufahren, lockt häufig eine Arbeit bei "Scheveningen Radio", eine der wenigen Plätze wo die Funktelegrafie noch professionell betrieben wird. Der Sprung von "Radio Holland" nach PCH wurde von vielen Funkern gewagt.

 

Der Herr an der Morsetaste im Sendesaal von "Scheveningen Radio" und sein Kollege an Bord sind also Teamkollegen im Spiel der Kommunikation, die auf bekanntem Terrain stattfindet. Es kann durchaus vorkommen, daß er von Ijmuiden aus Kontakt mit seinem "alten Schiff" hat und sich vielleicht etwas wehmütig an die Funkanlage erinnert, mit der er seinen ersten Funkkontakt und die ersten schwankenden Schritte auf dem Pfad der Funktelegrafie tat. Damals im Dienst von "Radio Holland" und nun als Beamter, arbeitsam bei PCH.

 

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Die traditionelle "Klopfer-Taste"

 

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Elektronische Morsetaste (ETM2)

 

 

 

 

Ein bißchen Technik, ein bißchen Geschichte

In den 30er Jahren wurde "Scheveningen Radio" international zu einer Küstenfunkstelle ersten Ranges. Auf Mittel-, Lang- und Kurzwelle arbeiteten viele Sender. Vor allem die Kurzwelle war im Kommen hatte aber noch einige Hindernisse zu überwinden, vor allem in bezug auf die Geräte mit den Kollektorfunken. Die Antennen für den Empfang der häufig schwachen Signale, die zuweilen doch über hunderte von Kilometern durch den Äther kamen, standen praktisch auf bebautem Gebiet. Technisch konnte man zu jener Zeit recht wenig dagegen tun, so kam nur ein Umzug in Frage, aber wohin? 1930 wurden die Kurzwellenempfangs- und Sendeantennen an einem "ruhigen Platz in den Dünen" wieder aufgebaut. Die Empfänger wurden vom Zentrum von Ijmuiden aus fernbedient, auch nichts Neues! Nach einigen Jahren sollte eine lokale Bedienung der Betriebssicherheit zugute kommen, und so wurde eine vollständige Filiale mit drei Abteilungen eingerichtet. Die Kurzwellenabteilung mit zwei Arbeitsplätzen, den Landleitungsdienst via Telex mit dem Hauptbüro und der noch recht neuen Funktelefonie mit einem Arbeitsplatz. Der Funkverkehr auf Kurzwelle war damals noch nicht so weit verbreitet wie heute. Die Arbeit fing erst gegen Mittag auf dem 24 Meterband an. Abhängig von den Zeitzonen und den häufig damit verbundenen Ausbreitungsbedingungen wurde auf das 26 Meterband umgeschaltet, wo bessere Sende- und Empfangsmöglichkeiten herrschten. Obwohl eine Küstenfunkstelle für die Schiffahrt, wurde damals merkwürdigerweise auch mit Flugzeugen gearbeitet. Es waren vor allem Flugzeuge auf der Indienroute. Später wurde auch auf dem 18 Meterband gearbeitet, überwiegend in den Morgenstunden. Der Telexverkehr mit dem Hauptbüro war sehr lebhaft, nachts ging es im Äther eher ruhig zu und es wurde nur von Ijmuiden aus gearbeitet.

Die Empfänger in den Jahren vor 1926 waren in eigener Regie gebaut worden und bestanden aus Spulen mit Gleitkontakten, großen platten Abstimmkondensatoren und, damals noch, einer Röhre mit drei Elektroden als Detektor-Verstärker. Abgestimmt wurde nach Gehör, denn von einer Abstimmskala war noch keine Rede. In Ijmuiden wurde gründlich modernisiert, d.h. es wurden Hochfrequenzverstärker in Betrieb genommen, die die Empfangsqualität und -stärke wesentlich verbesserten. Eingeweihte wußten es zu schätzen, daß die Neutrodyneschaltung von Koopmans wieder verwendet wurde.

Das damalige PTT-Funklaboratorium (Vorgänger des Dr. Neher-Laboratorium) sorgte danach noch für einen "Geradeausempfänger" und von Telefunken kam für die Arbeitsfrequenz ein spezieller Schiffsempfänger, beide Teile verrichteten viele Jahre einen hervorragenden Dienst auf Mittelwelle. Die Langwelle bekam auch einen Telefunkenempfänger, eine Erbschaft aus der Funkverbindung mit Indien, wo die PTT eine so große Rolle gespielt hatte. Das riesige Gerät war mit verstellbaren Spulen und großen Abstimmrädern ausgerüstet. Die Kurzwellenempfänger, Geradeausempfänger mit zwei Abstimmknöpfen, kamen ebenfalls aus dem Funklaboratorium. Das "Häuschen in den Dünen" bekam später Fabrikempfänger von HRO: Betriebssicher und zuverlässig. Bis Mai 1940 funktionierte auch alles.

Am 29. Juni 1945 feierte "Scheveningen Radio" von Den Haag aus seine triumphale Rückkehr in den Äther. Zwei alte Mittelwellensender wurden aus dem Zentralmagazin der PTT geholt und von einer Antenne, die an einem Antennenmast und einem Gaslichthalter festgemacht wurde, erklang wieder das CQ von PCH. Der Schlepper "Hudson" hieß Scheveningen in der "Freien Luft" herzlich willkommen, und manche Kollegen anderer Küstenfunkstationen schickten von sich aus Nahrungspakete. Die 600 Meter Not- und Anruffrequenz war wieder bemannt, eiligst auch in Ijmuiden. Von einem Schiff aus, das länger in Reparatur war, wurde ein Kurzwellendienst unterhalten unter dem Rufzeichen PCH/2. Dieser Trick wurde auch später noch einige Male angewandt.

In Scheveningen war es ein ständiges Kommen und Gehen der PTT-ler, die nach und nach eingestellt wurden. Die Küstenfunkstelle kam schnell wieder auf die Beine und konnte somit im Äther helfen. Es wurden Schiffssender von "Radio Holland" angemietet, das auch viele Jahre lang das Personal zur Verfügung stellte. Einige Damen der Verwaltung hatten soviel Interesse an dem operativen Dienst, daß sie zu bestimmten Zeiten, später definitiv, das Büropersonal zur Nutzung von Kopftelefonen überreden konnten. Dies führte nach einer gewissen Zeit zu einer ungeahnten Ablösung des Personals bei der Radiotelefonie: Diese wurde größtenteils von den Frauen in Besitz genommen....

Mancher Schiffer und Fischer hörte auf dem 123 Meter-Band zu seinem Vergnügen die Telefonistinnen rufen.

In der Notunterkunft in Ijmuiden, einer Schule in der Houtmannstraat, wuchs die Anzahl der Arbeitsplätze ständig. Manchmal mußten die Telegrafisten ihre Arbeit im Stehen verrichten, da sämtliche Stühle besetzt waren. Es liegt an der menschlichen Anatomie, sich auszubreiten. In der dichtgedrängten Kantine, übrigens ein Gang von 1 x 5 Metern, standen die maschinellen Stanzmaschinen (die "Creeds") und ein Kastenberg diente als "Arbeitsplatz und Magazin". Die Stimmung litt kaum darunter, aber alle waren sich einig, daß dies ein unhaltbarer Zustand war. Es sollte bis 1951 so gehen, bevor umgezogen werden konnte.

Aber was für ein großzügiges Gebäude gab es am 2. Sluiseiland! Räume für die Funktelefonie, und noch mehr Platz für die Funktelegrafie, extra Büros für die Landleitungen (Telegrafie und Übermittlung), einen technischen Dienst (TD), einen eigenen Kursusraum. Es war nicht zu übersehen, "Scheveningen Radio" hatte wieder ein eigenes Haus.

Neue Sender wurden in Kootwijk aufgestellt. Bei der Bestellung wurde Wert darauf gelegt, daß sie für den Funkverkehr geeignet sein mußten. Das heißt, für die Telegrafie und die Telefonie, und dies nicht nur für eine bestimmte Frequenz sondern pro Sender auch für eine Anzahl verschiedener Kanäle. Der erste Sender ging mit einer nominalen Ausgangsleistung von 10 kW auf 22,5 MHz als PCH98 im Mai 1951 auf Sendung, dieses noch vor der Eröffnung des neuen Gebäudes. Im November 1953 standen schon sechs Sender, die für den "Festen Funkverkehr" bestimmt waren, dem Funkverkehr zwischen festen Stationen. Später kamen noch stärkere Sender hinzu, die 30 kW Ausgangsleistung hatten, für die Funktelefonie dazu. Die meisten Sender strahlten ihre Energie über speziell entwickelte "ground plane"-Antennen aus, die sich in der Praxis hervorragend bewährten. Alleine für die hohen Frequenzen wurden vertikal- und horizontal polarisierte Richtantennen benutzt.

Der Grund für die jüngste Verbesserung war der gewünschte Richteffekt, der vor allem für die hohen Frequenzbereiche bedeutend war. Für die Bänder 4 MHz, 6 MHz und 22 MHz stand je ein Sender zur Verfügung. Im 8 MHz-Band, 12 MHz- und 17 MHz-Band konnte mit drei Sendern pro Band gleichzeitig gearbeitet werden.

Die Funktelefonie bekam am 2. Sluiseiland acht Arbeitsplätze sowohl für den Funkverkehr als auch für die Direktverbindung zu den Abonnenten an Land. Die Funkanlage bestand aus einem RCA AR-88 Empfänger mit einem Bedienungsfeld, Antennenwahlschalter für Sender und Empfänger, Lautstärkeregler etc.

Auf Petten, Hoek van Holland und Terschelling wurden Relais-Empfangsstationen installiert. Ein Platz war für die Bedienung der internationalen Not- und Anruffrequenz bestimmt, 3 Plätze für die Grenzwellentelefonie, zwei für die Kurzwelle, zwei weitere standen auf "Standby" für besondere Vorkommnisse bzw. zur Reserve.

Zahlreiche Telefon-, Telegrafie- und Telexleitungen sorgten für die Verbindung mit dem Hinterland. Direkte Leitungen gingen zur königlichen Schiffsagentur Dirkzwager te Maassluis (mit der sehr enge Verbindungen bestanden) und der "KNMI te De Bilt". Und beinahe selbstverständlich stand ein Dieselaggregat im Keller, das automatisch die Stromversorgung übernahm, falls die normale Netzspannung ausfallen sollte.

Das Gebäude von "Scheveningen Radio" am 2. Sluiseiland sah in den Augen eines Laien, aus der Ferne gesehen, wie ein Schiff aus. Lang, schlank, wie die Aufbauten eines Passagierschiffes am Horizont. Es war ein wohlüberlegtes, gut durchdachtes und konstruiertes Gebäude, das für die Dienste der Seefahrt auf den sieben Weltmeeren gebaut war. Zum Bedarf der Kommunikation, schnell und zuverlässig, ein nahezu unentbehrliches Bindeglied für den maritimen Funkverkehr.