Geschichte der  Küstenfunkstelle Scheveningen Radio (Teil 2)

 

"Scheveningen-Hafen"

Der Funkverkehr mit "Scheveningen-Hafen" war in jenen Tagen noch nicht sehr groß; das hatte eine etwas merkwürdige Ursache. Ein berühmter Name aus der Geschichte der "Drahtlosen", so wurden die Telegrafisten in dieser Zeit genannt, ist der Name des Italieners Marconi. Er war der erste der in der Praxis über eine große Entfernung drahtlose Nachrichten übermitteln konnte. Dies geschah 1897 in England. Kurze Zeit später, 1901, wurde durch ihn ein Funksignal nach Amerika übermittelt. Er war ein schlauer Geschäftsmann: mit den Schiffsfunkstationen, die durch seine Firma verkauft wurden, durften nur Verbindungen mit Schiffen oder Küstenfunkstationen getätigt werden, die auch eine Marconi-Ausrüstung hatten. Deshalb wurde der bedienende Funker wohl auch "Marconist" genannt.

"Scheveningen-Hafen" hatte einen Sender der konkurrierenden Firma und hatte so in den Anfangsjahren sehr wenig Funkverkehr mit den Seeschiffen, denn die meisten von ihnen hatten damals eine Marconi-Funkstation an Bord. Erst nachdem drei Schiffe der Reederei "Zeeland" einen Telefunkensender und -Empfänger bekamen, konnten Erfahrungen ausgetauscht werden. Mit der Zeit wurde eine Anzahl von Verbesserungen an den Sendern und Empfängern vorgenommen. Diese wurden Stück für Stück zu einem "Tonfunkensender" umgebaut, mit besseren Sendequalitäten und weniger Störungen. In den folgenden Jahren wurden sowohl Sender als auch Empfänger mit der Regelmäßigkeit einer Uhr durch Techniker von "Scheveningen-Hafen" gebaut oder verbessert.

pch04.jpg (16872 Byte)

1904 errichtete Telefunken die Küstenfunkstelle
"Scheveningen Radio".

Das Betriebsgebäude und die dachförmige Antenne wurden in den Dünen an der Kanalküste errichtet.

pch05.jpg (20383 Byte)

Innere Ansicht der Küstenfunkstelle "Scheveningen Radio" (1904).Sende- und Empfangsanlagen waren für eine Reichweite von mehr als 350 Kilometern ausgelegt.

 

Sonderdienste

Neben dem täglichen Funkverkehr mit den Schiffen, unterhält "Scheveningen Radio" auch eine Anzahl besonderer Dienste und Aussendungen. Diese umfassen folgende Bereiche:

  • Wetterberichte und Sturmwarnungen
  • Eisberichte
  • Sicherheitsmeldungen (z.B. für die Navigation)
  • Nachrichten (und tägliche Pressecommuniqués)
  • Den Funkmedizinischen Dienst

Das die Wetterberichte für die Seefahrt sehr wichtig sind, bedarf keiner weiteren Erklärung. Schiffe, die z.B. die Biskaya ansteuern, müssen über Schlechtwetter informiert werden. Das bedeutet, daß eventuelle Decksladung nachgelascht und sturmfest gemacht werden muß. Extra Sicherheitsmaßnahmen müssen getroffen werden, denn es kann recht stürmisch in dieser Gegend werden. Schiffe, die die nördliche oder südliche Route befahren, müssen vor Eisbergen oder Treibeis gewarnt werden.

Eines der bekanntesten Unglücke der Seefahrtsgeschichte, der Untergang der "Titanic", 1912, sei hier genannt. Sie war ein sicher gebautes Schiff, mit extra wasserdichten Schotten. Diese halfen jedoch wenig. Der verdeckte Unterwasserteil eines Eisberges riß ein großes Stück der Außenhaut unterhalb der Wasserlinie auf. Das Schiff ging unter und viele Menschen ertranken. Dieses Unglück ist eine der Ursachen für den Abschluß des Schiffsicherheitsvertrages von London 1914. Was hatte sich zugetragen?

Während des Unglücks wurde durch den Bordfunker der "Titanic", Jack Phillips, eine SOS-Meldung ausgesendet. In der Nähe befand sich die "Californian", aber dort wurde das Notsignal nicht empfangen, da der Funker zu der Zeit keinen Dienst hatte. Dieses war eine der Ursachen der "Titanic"-Katastrophe. Im Vertrag von London wurde unter anderem vorgeschrieben, daß auf Schiffen ohne durchgehende Hörwache in jedem Fall ein Gerät vorhanden sein müßte, das automatisch auf das ausgesandte Notsignal SOS reagiert und Alarm auslöst. Weiter wurde vorgeschrieben, daß die Funker zu bestimmten Zeiten eine Hörwache gehen mußten. Später wurden dann Notsender installiert, die auch dann funktionierten, wenn die normale Stromversorgung ausfiel.

Sicherheitsnachrichten geben der Besatzung Informationen über treibende Gegenstände, Wracks etc., die wichtig sind, für das sichere Navigieren. Eventuelle Änderungen der Tonnen und Funkbaken gehören dazu. Der Nachrichtendienst hält die Seeleute über die Geschehnisse in der Welt auf dem laufenden. Auf Passagierschiffen, wo oft eine Schiffszeitung gedruckt wird, ist dieses eine sehr geschätzte Form des Dienstes. Der funkmedizinische Dienst von "Scheveningen Radio" ist besonders für Schiffe eingerichtet worden, die keinen Arzt an Bord haben. Dieses sind die meisten, denn nur die Passagierschiffe haben einen Arzt an Bord. Ansonsten fungiert der Erste Offizier als "Arzt", er hat eine Sanitätsausbildung durchlaufen. Wird ein Seemann krank oder befinden sich nach einem Unfall Verletzte an Bord, kann der funkmedizinische Dienst angerufen werden. Dieses ist ein kostenloser 24-Stunden-Service in Zusammenarbeit mit dem Niederländischen Roten Kreuz. Über "Scheveningen Radio" wird ein Anruf an den diensttuenden Arzt gemacht. Dieser stellt anhand der Bordinformationen die Diagnose und schreibt die Behandlung vor. Diese Behandlungsvorschriften können Verabreichungen und Einnahmen der an Bord befindlichen Medikamente sein, aber es kann auch vorkommen, daß die Krankheit oder der Unfall so schlimm sind, daß so schnell wie möglich ein Hafen angelaufen werden muß. Geschieht ein solcher Unfall auf See, kann es notwendig werden, daß der Verletzte auf ein anderes Schiff gebracht werden muß, das über eine Krankenstation und einen Arzt verfügt. In solchen Fällen wird das Schiff dann von PCH über Funk angerufen und um "Standby" gebeten, das heißt, es muß sich für die Übergabe bereit halten. Geschieht der Unfall in der Nähe der Küste, kann der Patient eventuell per Helikopter oder einem Schiff des Seenotrettungsdienstes geholt werden. Auch in solchem Fall spielt PCH eine wichtige Rolle, mit Telegrafie oder Telefonie, aber immer schnell, es kann ein Menschenleben davon abhängen.