Geschichte der belgischen Küstenfunkstellen - Fortsetzung 5 v 9


"Antwerpen Radio" zwischen den beiden Kriegen (nach 1930)

In der Vorkriegszeit behielt "Antwerpen Radio" seinen Vorsprung auf die Küstenfunkstellen "Oostende Radio" und auf das "Bureau Central Radio" (BCR) bei. Die Situation war in der Tat günstig. Es gab eine ansehnliche Zahl von Passagierdampfern. Die Stadt Antwerpen nahm eine herausragende Stellung in der Geschäftswelt ein. Hinzu kam, daß die erdgebundene Fernkommunikation noch nicht so viele Möglichkeiten wie heutzutage im Hinblick auf Schnelligkeit und Zuverlässigkeit bot, und die Absender dem schnellsten Weg zum Empfänger den Vorzug gaben.

1933 wurde der öffentliche Gesprächsdienst über die Küstenfunkstelle "Antwerpen Radio" eingerichtet. Obwohl die Versuche zur vollkommenen Zufriedenheit abliefen, durften nur lokale Gespräche abgewickelt werden. Während eines internationalen Kongresses in Antwerpen lud die Stadtverwaltung die Teilnehmer zu einer Exkursion an Bord eines "Flandria"-Bootes ein. Einer der Journalisten an Bord berichtete telefonisch seiner Zeitung in Madrid über diese Einschränkungen, doch selbst danach bezweifelte die Hauptverwaltung in Brüssel die Möglichkeit eine solche Verbindung herstellen zu können. Die offizielle Indienststellung ließ noch bis zum 1. Juli 1934 auf sich warten, obwohl damals bereits die 2-Draht/4-Draht-Technik im Gespräch war. Bezüglich des Fernsprechverkehrs beschränkte sich die Rolle von "Antwerpen Radio" auf den Verkehr mit den Schiffen auf der Schelde, während man auf Telegraphie über große Entfernungen mit den kongolesischen Schiffen auf der Kurzwelle zusammenarbeitete.

1936 wurde nach dem Bau von Tunneln unter der Schelde die Holzbaracke der Funkstation "Pays de Waes", die sich am rechten Ufer der Schelde befand, mittels eines Floßes zur neuen Station "Waasland", die sich am linken Ufer befand, transportiert und etwa zehn Meter vom Ufer der Schelde entfernt wieder aufgebaut. Die Station blieb dort bis zum Ausbruch der Feindseligkeiten im Jahre 1940. Die Telegraphie arbeitete mit voller Kraft bis zum Mai 1940. Aufgrund der drohenden Kriegsgefahr wurde es verboten, Fernsprechverbindungen mit den Schiffen auf der Schelde herzustellen.

Am 10. Mai 1940 wurde der Fernsprechverkehr nach einer Bombardierung vollkommen eingestellt. Die Telegraphieanlagen wurden durch Bombenexplosionen schwer beschädigt. Am 11. Mai wurden im Rahmen dessen, was möglich war, provisorische Reparaturen durchgeführt und es war noch einmal möglich einige Tage zu arbeiten. Schließlich wurde am 13. Mai alles, was weggebracht werden konnte an Bord der "Scheldewacht" geladen, die nach Ostende abfahren sollte. Da der Seeweg versperrt war, versuchte das Schiff über die Binnengewässer zu entkommen. An der Scheldebrücke in Termonde war der schiffbare Weg unterbrochen und das Schiff wurde versenkt. Die Ausrüstung ging vollständig verloren.

Der Sendestelle "Ruiselede" zwischen den beiden Kriegen (nach 1930)

Aus technischen Gründen wurde das erste Gebäude, dessen Konstruktion ursprünglich in Ruiselede vorgesehen war, in Wingene erbaut. Der Name der Sendestelle und das Gelände von ungefähr 100 Hektar Größe, auf dem die Bauten vorgesehen waren und das sich auf die beiden Gemeinden erstreckte, waren bereits ausgewählt worden. Der Name "Centre radio-éléctrique de Ruislede" wurde beibehalten. Ursprünglich wurde die Sendestelle für stationäre Sprechfunk- und Telegraphieverbindungen genutzt, nämlich für "Belradio" und den Funkdienst des Telegraphenamtes in Brüssel, das zudem die Koordination der Fernsprechverbindungen sicherstellte.

Während der zwanziger Jahre benutzte man noch überwiegend Langwellen für die Funkverbindungen. Infolgedessen wurde die Sendestelle Ruiselede besonders für die Einführung dieser Wellenlängen errichtet. Die Sendestelle wurde mit drei HF-Generatoren, jeder mit einer Leistung von 250 kW, ausgerüstet, und es bestand die Möglichkeit, zwei von ihnen parallel zu schalten. Es waren Innenpolmaschinen mit 360 Pol-Paaren. Ihre Drehzahl konnte zwischen 2000 und 3180 Umdrehungen pro Minute geregelt werden. Die Frequenz ließ sich zwischen 12 kHz und 18,9 kHz regeln. Die Sollfrequenz war 16,2 kHz. Die Wellenlängen variierten daher zwischen 15870 und 25000 Metern. Die Synchrongeneratoren (alternator) waren über HF-Transformatoren (Tesla’s) an die Antenne gekoppelt. Die Tastung erfolgte über die Trennung einer dritten Tesla-Wicklung und Kurzschluß des festgekoppelten Primärkreises.

Die Langwellenantennen waren von beeindruckendem Ausmaß. Zwischen acht Masten von 287 Metern Höhe gespannt, bildeten sie eine Horizontalebene aus Kabeln von 400 Metern auf 1400 Metern. Strenggenommen war es ein gigantisches Werk. Zu jener Zeit war die Höhe der Sendemasten im allgemeinen auf 287 Meter begrenzt, um nicht das Prestige des Tour Eiffel zu gefährden.

Schon vor dem Krieg wurden Kurzwellensender mit Richtantennen in Betrieb genommen, um den ohne Unterbrechung ansteigenden Funkverkehr und die technische Entwicklung zu bewältigen. Aus diesem Grunde wurden zum ersten Mal Elektronenröhren in Sendern benutzt. Um die Stabilität der Frequenz sicherzustellen, benutzte man Quarzkristalle.

Im Oktober 1940 sprengten die Deutschen die 287 Meter hohen Sendemasten der Langwellenantenne in die Luft. Sie wurden niemals wieder aufgebaut. Es versteht sich von selbst, daß die Nutzung durch den Feind wieder aufgenommen wurde, und daß der Zutritt den Technikern der "Administration Belge des Télégraphes et des Téléphones" untersagt wurde. Während des Krieges wurde das Zentrum praktisch leergeräumt, nachdem es als Funkstation für die Unterseeboote und die Fliegerei benutzt worden war.

Die Nachkriegszeit

Nach dem Abzug der deutschen Truppen blieb praktisch nichts von den von der Besatzungsmacht genutzten oder nicht genutzten Anlagen übrig. Mittels des zurückerlangten Kriegsmaterials versuchte man sofort, die Küstenfunkstellen wieder in Betrieb zu nehmen. Während der Besetzung waren durch mutige Gewährsmänner an Philips und SBR geheime Bestellungen geleitet worden, die es direkt nach dem Abzug des Feindes erlaubten, funktechnische Ausrüstung zu liefern.

Während die Telegraphie von Beginn an erneut mit voller Kraft expandierte, wurde der Rückstand, den der Sprechfunkdienst aufwies, erst später aufgeholt.

Der Einfluß allerneuester Technik, wie zum Beispiel der Transistoren und der gedruckten Schaltungen, haben das Aussehen der Küstenfunkstellen und der beweglichen Seefunkstellen grundlegend verändert. Zusätzlich zu den Mittel- und Kurzwellen benutzt man regelmäßig UKW. Langwellen werden nur noch für Zwecke der Navigation benutzt. Das System des Selektivrufes wird bevorzugt genutzt. Der Morseverkehr wird, auch wenn er noch nicht ganz außer Gebrauch gekommen ist, durch das TOR-System ersetzt. Die Planung und Koordination auf internationaler Ebene der Küstenfunkstellen und ihrer Dienste tragen dazu bei, in Zukunft die Satellitenverbindungen rentabler zu machen und, besser spät als nie, die Sicherheit auf See ebenfalls zu erhöhen.

In Belgien unterstehen die Küstenfunkstellen je nach ihrer geographischen Lage den verschiedenen administrativen Bereichen der "Administration Belge des Télégraphes et des Téléphones. Nur das "Bureau Central Radio" (BCR), die Empfangsstellen Liedekerke und Jurbise und die Sendestelle Ruiselede unterliegen der Zuständigkeit der "Administration Centrale". 1965 wurden die Küstenfunkstellen "Oostende Radio" und "Antwerpen Radio" im Bereich des "Services Radiomaritimes" (RMD) zusammengelegt. Von diesem Moment an lagen sie in der Zuständigkeit dieses neugeschaffenen Bereichs. Voher waren sie bezüglich ihrer Verwaltung und Nutzung dem Bereich der "T.T. Brügge", genauer dem Telegraphenamt "Oostende-Centrum" beziehungsweise dem Telegraphiebereich von Antwerpen unterstellt. Die Funker, die die Funkstationen an Bord der Schiffe besetzen sollten, wurden ebenfalls von dem Telegraphenamt Oostende bereitgestellt, ehe der Bereich des "Services Radiomaritimes" gegründet wurde. Die Sendestelle Ruiselede wurde 1972 dem "RMD" zugeordnet.